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Digitales Studieren: „Wir müssen die Chancen nutzen“

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Wie verändern digitale Möglichkeiten das Lernen? Die Leuphana-Universität Lüneburg testet mit „Think Tank Cities“ die Online-Projektarbeit. Studenten aus mehr als 100 Ländern tüfteln in Teams an der Stadt der Zukunft.

Auch Cloud-Anwendungen machen es möglich: Studierende arbeiten online an gemeinsamen Texten und Modellen, greifen auf Materialsammlungen zurück und bewerten gegenseitig ihre Arbeiten. Wo auf der Erde sie am Computer sitzen, spielt dafür keine Rolle. Wie sich die neuen digitalen Möglichkeiten nutzen lassen, erprobt aktuell die „Digital School“ der Leuphana-Universität in Lüneburg. Im dreimonatigen Kurs „Think Tank Cities“ haben sich Teilnehmer aus mehr als 100 Nationen eingeschrieben. Zulassungsbeschränkungen oder Studiengebühren gibt es nicht. „Die digitale Interaktion hat die privaten Kommunikationsstrukturen und Arbeitsprozesse grundlegend verändert“, sagt Holm Keller, Vizepräsident der Leuphana-Universität und verantwortlich für die „Digital School“. „Sie muss auch für vollkommen neue Bildungsangebote genutzt werden.“

Im Online-Kurs „Think Tank Cities“ entwerfen fünfköpfige Teams eine neue Stadt. Hierzu diskutieren sie existierende Planstädte wie Karlsruhe und Brasilia, entwickeln die Vision einer städtischen Gesellschaft, und bauen am Ende auch ein Architektur-Modell ihrer Idealstadt. Bekannte Experten wie der US-Architekt Daniel Libeskind und die Soziologin Saskia Sassen (Columbia University in New York) geben Video-Vorlesungen, beantworten Fragen und bewerten die Arbeiten. Die Mitstudenten sind aufgerufen, die Ergebnisse der Projekt-Teams zu kommentieren (Peer-Review).

Soziale Interaktion statt Frontalunterricht

Die „Digital School“ will sich bewusst von anderen E-Learning-Konzepten absetzen, bei denen die soziale Interaktion zu kurz kommt. „Wir sehen bei vielen Angeboten keine echte Online-Didaktik, sondern das schlichte Abfilmen von Lehrveranstaltungen, gefolgt von Multiple-Choice-Tests“, sagt Keller. Mit einem „Social Learning“-Konzept setzt man in Lüneburg stattdessen auf Teamarbeit an einem Endprodukt. „Die Teilnehmer lernen dabei implizit auch, mit sehr unterschiedlichen Menschen gemeinsame Lösungen zu finden“, so Keller. Die Einbindung der Studenten in einen interaktiven, sozialen Prozess ermögliche bessere Lerneffekte: „Das ist online nicht anders als offline.“ Die soziale Interaktion könnte sogar ein Zusatznutzen digitaler Lehrangebote sein.

Große Nachteile der reinen Online-Kommunikation sieht Keller nicht. Im Gegenteil. Im Vergleich zur persönlichen Kommunikation könne die Online-Zusammenarbeit sogar zu weniger „egozentrischen“ Lösungen führen. Zwar fielen manche Signale in der Kommunikation weg, etwa die Mimik und der Tonfall der Gesprächspartner, doch könnten hier Online-Videokonferenzen Abhilfe schaffen. Allerdings organisieren die Teams im „Think Tank-Cities”-Kurs die Kommunikation untereinander selbst. „Sie können die Wege selbst wählen, wir machen da keine Vorgaben“, sagt Keller.

Der Redebedarf kann groß sein. Denn die Leuphana-Universität setzt die Teams mit Hilfe eines Algorithmus so zusammen, dass die Teilnehmer möglichst unterschiedliche berufliche Erfahrungen und kulturelle Hintergründe mitbringen. Auf der anderen Seite aber sollen die Ansprüche der Team-Mitglieder an das Projekt möglichst übereinstimmen – hier setzt man auf „Homogenität“. Wer etwa besonders viel diskutieren möchte, trifft auf in seiner Gruppe auf Gleichgesinnte.

Europa ebnet Online-Studium den Weg

Dem Online-Kurs sollen nach Möglichkeit ganze Online-Studiengänge an der Leuphana-Universität folgen. Langfristig schweben Keller global einheitliche Bildungsplattformen vor. Die Online-Studiengänge sollen akademische Abschlüsse bieten, die allgemein anerkannt werden. Das grenzüberschreitende Online-Studium wird schon jetzt durch den „Europäischen Hochschulraum“ erleichtert, der mit dem sogenannten Bologna-Prozess entstanden ist. Die Hochschulen erkennen im europäischen Ausland erworbene Prüfungsleistungen an. Der Bologna-Prozess habe dem digitalen Lernen einen Schub gegeben, meint Keller. Bei erfolgreicher Teilnahme am „Think Tank Cities“-Kurs können sich Studierende Leistungspunkte an ihren „Heimathochschulen“ anrechnen lassen.

Digitale Wege zum lebenslangen Lernen

Keller sieht in den ortsungebundenen Online-Studiengängen Chancen für mehr „globale Bildungsgerechtigkeit“. So könnten zum Beispiel viele Menschen in Afrika aus familiären und finanziellen Gründen nicht in eine Universitätsstadt ziehen, um dort zu studieren. Für Ausländer ergebe sich auch die Möglichkeit, einen in Europa anerkannten Universitätsabschluss zu machen, bevor sie in die EU einwandern. „Mit einem europäischen Masterabschluss haben Einwanderer formal ganz andere Möglichkeiten, hier Zugang zu Berufen zu bekommen.“ Auch das „lebenslange Lernen“, das Wirtschaft und Politik regelmäßig einfordern, sei ohne Revolution der Online-Lehre nicht umsetzbar, meint Keller. Die Menschen müssten dauerhaft neben Familie und Beruf lernen können, und nicht nur in einer bestimmten Lebensphase und an einem bestimmten Ort. „Lernen muss Teil des Lebens sein, das haben private Anbieter und die öffentliche Hand zu lange vernachlässigt.“

Harvard für alle?

Offen bleibt, welche Institutionen und Anbieter den globalen (Online-)-Bildungsmarkt künftig prägen. Studieren bald Millionen von Menschen an der Harvard-Universität, weil sie weltweit einen klangvollen Namen hat? Nein, mein Keller. „Digitale Lehre bedeutet nicht die Automatisierung von Bildung.“ Auch online könne Harvard nur eine begrenzte Zahl von Studenten betreuen. „Das Personal kann zwar in der Online-Lehre anders organisiert werden, aber die Interaktionszeit pro Student wird nicht geringer.“ Mehr Wettbewerb im Bildungsmarkt führt laut Keller nicht dazu, dass langfristig deutsche Unis an den Rand gedrückt werden. Allerdings könnten deutsche Studenten online viel internationaler arbeiten.


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