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Digitales Lernen: „Recherchieren ist nicht gleich googeln”

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Von der reinen Material-Ablage über Online-Tests bis zum Forum: Nicht alle Uni-Dozenten nutzen die Möglichkeiten, die ihnen Lernmanagement-Systeme bieten. Die E-Learning-Expertin Anne Thillosen erläutert im Interview Probleme, Chancen und Trends der digitalen Wissensvermittlung.

Foto: Leibniz-Institut für Wissensmedien

Anne Thillosen

Anne Thillosen ist Co-Leiterin des Projekts “e-teaching.org” am Leibniz-Institut für Wissensmedien. Das Portal richtet sich vor allem an E-Learning-Akteure an Hochschulen und bietet ihnen Informationen zum Einsatz digitaler Medien. Anne Thillosen ist verantwortlich für die konzeptionelle Fortentwicklung des Projekts und betreut inhaltlich den Portalbereich „Didaktisches Design“. Sie interessiert sich besonders für Veränderungsprozesse durch neue Medien sowie neue Lernszenarien und -konzepte

iRights.info: Viele Universitäten betreiben heute sogenannte Lernmanagement-Systeme (LMS). Wo steht die deutsche Hochschullandschaft beim Einsatz der LMS?

Anne Thillosen: Sie sind an den allermeisten deutschen Universitäten Standard, eine Basistechnologie – viel verbreiteter als etwa Online-Vorlesungen. Schwer zu erheben ist, in welchem Umfang und wie genau sie genutzt werden. An einigen Universitäten werden alle Lehrveranstaltungen, die im Vorlesungsverzeichnis stehen, automatisch auch im LMS digital abgebildet. Aber in der Regel steht es den Lehrenden frei, ob sie die digitalen Möglichkeiten in die Lehre einbeziehen.

iRights.info: Was verändert der Einsatz der LMS?

Anne Thillosen: Sie schaffen parallel zu den Präsenzveranstaltungen einen virtuellen Kursraum. Hier sind Informationen abgelegt wie Sprechzeiten, Termine, Literaturhinweise und Prüfungsvoraussetzungen. Dazu kommen in der Regel Lernmaterialen wie Skripte und Powerpoint-Präsentationen. Manche Dozenten stellen auch Tests ein – zur Selbstkontrolle der Studenten, oder um zu sehen, was verstanden wurde und was nicht.

Darüber hinaus bieten die meisten LMS Möglichkeiten zur Kommunikation, etwa Mailforen, Wikis oder Chaträume. Welche Optionen genutzt werden, hängt stark vom Lehrenden ab. Häufig höre ich die Meinung: Das ist doch nur eine Materialablage. Aber das ist ja auch schon etwas. Während meines Studiums hätte ich gerne eine solche Unterstützung über ein LMS gehabt.

Neues Prinzip: Inverted Classroom

iRights.info: Veranstaltungen vor Ort könnten auch ganz durch das Online-Studium ersetzt werden. Gibt es diese Entwicklung?

Anne Thillosen: Fernuniversitäten wie die in Hagen können jetzt natürlich auf Online-Studiengänge umstellen. Das hat viele Vorteile zum traditionellen Fernstudium. Da waren die Studierenden viel eher Einzelkämpfer, wenn sie ihre Aufgaben im stillen Kämmerlein lösten und per Post einschickten. Jetzt haben sie viel mehr Möglichkeiten zur Zusammenarbeit, indem sie ihre Mitstudenten und Dozenten über das Internet kennen lernen – sich vielleicht sogar mit anderen Fernstudenten in derselben Stadt verabreden.

Die normalen Universitäten setzen die digitalen Elemente in der Regel nicht als Ersatz sondern ergänzend zu den Präsenzveranstaltungen ein. Hier bietet sich allerdings die Möglichkeit, die Abläufe umzustrukturieren, und damit sind dann oft auch neue didaktische Ansätze verbunden. An einigen Hochschulen wird zum Beispiel das Konzept des „Inverted Classroom“ erprobt, also eine Umkehrung des klassischen Konzepts: Nicht im Hörsaal wird das neue Wissen vermittelt, sondern der Wissenserwerb findet im Netz statt – etwa über Skripte und Podcasts. Die Präsenzveranstaltungen können dafür seltener stattfinden und werden dann eher für Fragen, Diskussionen und Problemlösungen genutzt.

Recherchieren lernen

iRights.info: Gibt es Nachteile, wenn der Wissenserwerb über digitale Medien erfolgt?

Anne Thillosen: Wenn viel Wissensvermittlung „nur“ im Netz stattfindet, muss schon darauf geachtet werden, dass das Wissen mit geeigneten Aufgaben vertieft wird. Es ist ein wenig, wie wenn wir einen Film sehen. Wir neigen dazu, zu denken, alles gleich verstanden zu haben. Aber wir müssen mit den Inhalten schon etwas tun, uns mit ihnen auseinandersetzen, um sie zu verankern und zu verarbeiten.

Die Studenten müssen auch lernen, dass der Einsatz dieser Medien im Studium nicht dasselbe ist wie in der Freizeit. So wie man auch das wissenschaftliche Lesen erst lernen muss, muss man auch das wissenschaftliche Recherchieren im Netz erst lernen. Es ist nicht dasselbe wie etwas privat zu googeln.

Flüchtige Seminarräume

iRights.info: Wie unterscheidet sich die Kommunikation im Seminarraum von der über ein Forum im Internet?

Anne Thillosen: Wenn Lehrende beispielsweise vor Veranstaltungen offene Fragen im LMS stellen, kann das mehr Studenten dazu bringen, eigene Ideen vorzustellen. Eine schriftliche Antwort kann auch dazu führen, dass sich die Studenten mehr Zeit nehmen und mehr Gedanken machen. Ihr Beitrag ist ja später dauerhaft zu sehen. Die schriftliche Kommunikation kann also die Qualität steigern, weil sie weniger flüchtig ist als im Seminarraum. Über Verlinkungen können auch neue Wissenspools entstehen, etwa in den Wikis.

iRights.info: Braucht die digitale Kommunikation eigentlich eigene Regeln?

Anne Thillosen: Lehrende sollten etwa ein Forum innerhalb eines LMS nicht einfach so laufen lassen. Sie müssen auch auf die Diskussionskultur achten und notfalls einzelne Teilnehmer direkt ansprechen, damit es nicht zu Streitereien oder Missverständnissen kommt. Vor allem muss es auch klare Anlässe zur Kommunikation geben. Einfach weil sie da sind, werden Foren und Wikis nicht genutzt.

iRights.info: Lassen sich über das Internet auch verbindliche Prüfungen ablegen?

Anne Thillosen: E-Prüfungen am Computer werden in Deutschland in der Regel vor Ort durchgeführt, auch aus rechtlichen Gründen. Die Studenten müssen sich etwa für eine E-Klausur persönlich identifizieren. Auch muss jemand technische Probleme regeln können.

Wie nachhaltig sind Massenkurse im Netz?

iRights.info: Schafft die Digitalisierung trotzdem mehr Möglichkeiten, auch Kurse an anderen Universitäten zu belegen als an der eigenen?

Anne Thillosen: Die Virtuelle Hochschule Bayern (VHB) bietet heute schon Kurse, an denen Studenten aus ganz Bayern online teilnehmen können. Studenten aus anderen Bundesländern können sich auch anmelden, müssen aber eine Gebühr zahlen. Was die reine Wissensvermittlung angeht, sehen wir immer mehr Angebote im Netz. So stellt etwa der Mathematik-Professor Jörn Loviscach seine Vorlesungen auf Youtube, wo sie viel abgerufen werden. Die Technische Universität Darmstadt hat eine Plattform mit frei verfügbaren Lehrmaterialien gestartet, sogenannte Open Educational Ressourses. Ein Thema, das immer stärkere Bedeutung bekommt. E-teaching.org bietet übrigens ab April einen offenen Kurs an, der sich damit beschäftigt und zu dem man sich jetzt schon anmelden kann.

Die großen amerikanischen Online-Bildungsanbieter wie Udacity und Coursera erreichen mit solchen offenen Kursangeboten, den derzeit viel diskutierten MOOCs – die Abkürzung steht für „Massive Open Online Courses“ – weltweit schon Hunderttausende Teilnehmer. Allerdings fehlen noch genaue Zahlen dazu, wie viele Personen wirklich dran bleiben, nachdem sie sich einmal angemeldet haben, und es ist noch unklar, wie sich dieser Trend auf Dauer weiterentwickeln wird.

Auf jeden Fall wird in diesem Feld zurzeit viel experimentiert. Ein interessantes Modell ist meines Erachtens auch der offene Kurs „Think Tank Cities“, den die Digital School der Leuphana Universität Lüneburg anbietet, und der offensichtlich im Vergleich mit den instruktional konzipierten, sehr großen MOOCs viel diskursiver und teamorientierter abläuft. Dafür sind die Organisation und die Betreuung aber natürlich auch viel aufwändiger.

Das LMS als Schutzraum

iRights.info: Wirbel gibt es derzeit um interne Pläne der Freien Universität Berlin, Lehrinhalte in Kooperation mit dem Unternehmen Apple online zu stellen. Ist es angebracht, bei Veröffentlichungen auf einen einzigen privaten Partner zu setzen?

Anne Thillosen: Es sind ja schon verschiedene deutsche Universitäten auf „iTunes U” vertreten. Aber so wie ich die Pressemitteilung der FU verstanden habe, sollen die Audio- und Videomaterialien nicht exklusiv nur über „iTunes U” angeboten werden, sondern das ist ein Zusatzangebot. So machen es auch andere Hochschulen, zum Beispiel die Universität Freiburg, die die eigenen Audio- und Videoangebote parallel auch auf einem Podcastportal der Uni zur Verfügung stellt.

iRights.info: Könnte es eigentlich so eine Art globales Bildungs-Facebook geben, in dem sich die Menschen anfreunden, die sich für dasselbe Thema begeistern?

Anne Thillosen: Solche weltweiten akademischen, wissenschaftsorientierten Netzwerke gibt es bereits, zum Beispiel Researchgate mit derzeit 2,6 Millionen Mitgliedern oder Scilife mit mehr als 1,8 Millionen Nutzern. Sie bieten allen interessierten Wissenschaftlern und Forschern, aber auch Studierenden die Möglichkeit, sich und ihre Interessen vorzustellen und sich zu individuell mit anderen zu vernetzen. Für die Hochschulen ist es aber erst mal interessant, ihre LMS an das Hochschul-System und die eigenen Datenbestände zu koppeln. Das eigene LMS bietet auch einen gewissen Schutzraum. Würde man die Aktivitäten auf Facebook verlagern – was einzelne Universitätskurse auch teilweise tun – dann stellen sich rechtliche Fragen. Müssen dann alle Studenten ein Facebook-Profil haben, auch wenn sie etwa Datenschutz-Bedenken haben?

iRights.info: Gibt es bei den LMS an den Universitäten neue Trends?

Anne Thillosen: Die Plattformen entwickeln sich ständig weiter, in den vergangenen Jahren wurden zum Beispiel Web 2.0-Funktionen wie Wikis integriert. Ein großes Thema sind derzeit mobile Anwendungen, viele Anbieter von Lernplattformen bieten inzwischen mobile Versionen, sodass Studierende mit mobilen Geräten wie Smartphones auf das LMS zugreifen und etwa Kursmaterialien abrufen können.


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