Alle nutzen Google, aber kaum jemand denkt über Konsequenzen nach. Ab und an werden alternative Suchmaschinen gefordert, doch weder der Markt allein noch eine staatliche Suchmaschine versprechen Auswege aus der Monokultur. Ein freier Web-Index hingegen könnte Voraussetzungen schaffen, um die Suchmaschinen-Landschaft zum Blühen zu bringen.
Wir alle nutzen Suchmaschinen, die meisten von uns jeden Tag. Mehr als 2.000 Suchanfragen werden in Deutschland pro Sekunde an die allgemeinen Suchmaschinen gestellt, deutlich mehr als 90 Prozent davon gehen an Google. Es gibt zahlreiche Versuche, diese Treue der Nutzer zu Google zu erklären. Die gängigsten Erklärungen sind:
- Google liefert die besten Suchergebnisse (fraglich),
- Google ist zum richtigen Zeitpunkt mit einem guten Angebot gestartet und hat seine gute Startposition hervorragend ausgebaut (plausibel),
- Google hat eine einfache und gut bedienbare Benutzerschnittstelle (sicherlich ein Faktor),
- die Nutzer haben sich an Google gewöhnt und ziehen deshalb keine anderen Suchmaschinen in Betracht (plausibel),
- die Nutzer sind mit den Suchergebnissen zufrieden (richtig),
- es gibt einfach keine Alternativen zu Google (darum soll es im Folgenden gehen).
Aber warum überhaupt Alternativen, wenn die Nutzer mit den Leistungen von Google doch zufrieden sind?
Zum einen geht es um die mittlerweile schon legendäre Datensammelwut der Suchmaschine: Google möchte am liebsten alles protokollieren, was wir im Netz tun. Vordergründig geht es dabei um die Verbesserung der Suchergebnisse, wichtiger aus Googles Perspektive ist aber die noch genauere Ausspielung von individualisierter Werbung. Würden wir nicht nur die eine Suchmaschine verwenden, würden sich unsere Daten auf die unterschiedlichen Anbieter verteilen; keiner dieser Anbieter wüsste alles über uns.
Das zweite starke Argument für Alternativen auf dem Suchmaschinenmarkt hat mit Wissenserwerb und Vielfalt zu tun: Wir erwerben unser Wissen zunehmend über das Netz (und damit vermittelt durch Suchmaschinen), und daher ist es wichtig, dass wir uns nicht nur auf eine mögliche Art der Suche zu verlassen, die mit einer von vielen möglichen Arten einhergeht, wie Ergebnisse sortiert werden können. Suchmaschinen verfolgen in der Ergebnispräsentation auch eigene Interessen; so bevorzugt Google beispielsweise seine eigenen Ergebnisse aus Spezialsuchen wie zum Beispiel der lokalen Suche gegenüber denen seiner Konkurrenten – auch wenn das Google-eigene Angebot nicht unbedingt besser ist.
Aber auch wenn es keine willentliche Bevorzugung gäbe: Jede Suchmaschine ordnet die Suchergebnisse nach Verfahren an, die von Menschen unter bestimmten Annahmen ausgedacht wurden. Das wird leider in der Diskussion immer wieder vergessen, und man sieht das Ranking der Suchergebnisse als rein technisches Problem an. Doch es gibt viele verschiedene Arten, Suchanfragen und Webseiten zu interpretieren, um sie miteinander in Verbindung zu bringen. Und auch wenn Google eine erfolgreiche Art entwickelt hat, wie man das tun kann, so gibt es schlicht nicht die eine richtige Lösung, sondern viele Möglichkeiten. Wir sollten uns in unseren Recherchen nicht auf nur eine Möglichkeit beschränken (lassen).
Warum es kaum echte Alternativen gibt
Wie sieht es aus, wenn wir nun tatsächliche nach Alternativen suchen? Zunächst einmal gibt es viele vermeintliche Alternativen, nämlich Angebote, die vordergründig als eigenständige Suchmaschinen daherkommen, allerdings die Ergebnisse einer anderen Suchmaschine anzeigen. Und meist kommen die Ergebnisse dann von Google. Beispiele für solche „Suchmaschinen“ sind die Suchen auf Portalen wie T-Online oder Web.de.
Dann gibt Suchmaschinen, die in anderen Ländern stark sind, allerdings nicht auf deutschsprachige Inhalte angepasst sind und daher von nur geringem Nutzen hierzulande sind. Dazu gehören die russische Suchmaschine Yandex, die chinesische Suchmaschine Baidu und die beiden häufig in der Presse als Alternativen genannten US-amerikanischen Suchmaschinen Blekko und Duck Duck Go.
Und so bleibt als einzige wirkliche nennenswerte Alternative Microsofts Suchmaschine Bing. Im Hinblick auf die Größe des Datenbestands, die Qualität der Suchergebnisse und das Benutzererleben kann sie tatsächlich mit Google konkurrieren. Dass sie allerdings keinen großen Zulauf an Nutzern hat, dürfte vor allem daran liegen, dass sie eigentlich genau das bietet, was Google auch bietet – bei manchen Suchanfragen erreicht sie bessere Ergebnisse als Google, bei manchen schlechtere. Insgesamt ist das kein überzeugendes Argument für einen Wechsel der Suchmaschine.
Wir brauchen nicht eine weitere, sondern viele Suchmaschinen
Unter Experten gibt es kaum Uneinigkeit darüber, dass es wünschenswert wäre, mehr Suchmaschinen zu haben. Über den Weg dorthin streitet man sich allerdings. Da gibt es auf der einen Seite Forderungen nach einer staatlichen Suchmaschine, auf der anderen Seite hofft man auf den Markt, der alles regeln wird.
Doch dass der Suchmaschinenmarkt „kaputt“ ist, ist schon seit Jahren offensichtlich. Und die staatliche Förderung einer alternativen Suchmaschine wirft das Problem auf, dass diese Suchmaschine auch scheitern könnte; unter Umständen auch aus Gründen, die mit der eigentlichen Suche gar nichts zu tun haben, wie zum Beispiel schlechtem Marketing oder einer schlechten Benutzerführung.
Und selbst wenn es gelänge, eine solche Suchmaschine zu etablieren, hätten wir nur eine Alternative mehr. Das würde mit Google und Bing eine Gesamtzahl von drei wichtigen Suchmaschinen machen. Was wir aber brauchen, ist eine Vielzahl von Suchmaschinen. Und diese werden wir nur erreichen, indem wir Voraussetzungen schaffen, unter denen Anbieter in der Lage sind, neue Suchmaschinen zu gründen.
Ein für alle zu fairen Konditionen zugänglicher Index des Web
Der Schlüssel dazu liegt in der Schaffung eines frei zugänglichen Suchmaschinen-Index. Der Index ist die Datenbank der Webseiten, die bei einer Suche im Web abgefragt werden. Um eine gute Suchmaschine zu betreiben, muss der Index viele Milliarden Dokumente umfassen und schnell abfragbar sein.
Um einen solchen Index aufzubauen, bedarf es einerseits einer hohen technischen Expertise, andererseits aber auch großer finanzieller Investitionen. Insbesondere der letzte Punkt ist es, der interessierte und technisch versierte Anbieter daran hindert, tatsächlich eigene Suchmaschinen aufzubauen. Im Klartext: Der Aufbau eines eigenen Web-Index ist schlicht zu teuer. Das sieht man auch daran, dass neben Google eigentlich nur Microsoft einen weltweiten Index betreibt. Und hinzu kommt, dass tatsächlich nur Google damit Geld verdient; Microsoft hat in den letzten Jahren mit seiner Suchmaschine – die ja gerade erst aufgrund des eigenen Index so teuer im Betrieb ist – Verluste in Milliardenhöhe geschrieben.
Aus diesen Gründen ist die staatliche Finanzierung eines Web-Index, auf den alle interessierten Parteien zugreifen können, der einzige Ausweg. Der Aufbau und Betrieb eines solchen Index ist als Infrastrukturaufgabe zu sehen – genauso wie der Bau von Straßen, die von allen genutzt werden können oder die Finanzierung von Bibliotheken, die der ganzen Bevölkerung zugute kommen.
Auf einen Satz zusammengefasst, lautet die Vision: Ein für alle zu fairen Konditionen zugänglicher Index des Web. Was ist mit dieser kurzen Formulierung gemeint?
- „Für alle“ meint dabei, dass jeder Interessierte auf den Index zugreifen kann.
- „Zu fairen Konditionen“ meint nicht, dass der Zugriff auf den Index für alle kostenlos sein muss. Vielmehr gehe ich davon aus, dass durch eine staatliche Förderung der Index als Infrastruktur erstellt wird, seine Nutzung allerdings durchaus mit Gebühren verbunden sein sollte, um letztlich wenigstens einen Teil der Kosten zu refinanzieren. Ähnlich dem gängigen Geschäftsmodell um APIs (Programmier-Schnittstellen) sollte allerdings eine bestimmte Menge von Dokumentabrufen pro Tag kostenlos sein, damit auch nicht-kommerzielle Initiativen gefördert werden.
- Unter „zugänglich“ ist zu verstehen, dass der Index leicht automatisch abgefragt werden kann. Weiterhin sollte tatsächlich alles im Index enthaltene auch abfragbar sein. Im Gegensatz zu den oben beschriebenen APIs der heutigen kommerziellen Suchmaschinen sollten also die vollständigen Dokumentrepräsentationen inklusive der Volltexte der Dokumente verfügbar sein. Zudem sollte die Zahl der abzurufenden Dokumente oder Dokumentrepräsentationen nicht beschränkt werden, damit die Nutzer des Index tatsächlich ein gutes Ranking auf einer großen Dokumentenbasis erstellen können. Nichtsdestotrotz sollten Basis-Rankingfunktionalitäten zur Abfrage des Index bereitgestellt werden, damit die abzufragende Dokumentenmenge doch sinnvoll beschränkt werden kann.
- Und „Index des Web“ meint schließlich möglichst alle Inhalte des Web. Dies bedeutet auch, dass der Index die bei Suchmaschinen heute schon üblichen Kollektionen von Nachrichten, Bilder, Videos, usw. enthalten sollte, aber natürlich sind auch weitere Kollektionen denkbar, die Suchmaschinen heute nicht anbieten. Dazu kommen Datenkollektionen, die für Endnutzer nicht relevant sind, wohl aber für Forscher und Entwickler: Hierunter fallen vor allem aus den Dokumentenmengen gewonnene Metadaten wie beispielsweise Häufigkeitsverteilungen von Wörtern oder Informationen über Spamdokumente.
Es ist höchste Zeit, dass wir mit der Arbeit beginnen und endlich eine offene Infrastruktur schaffen, auf deren Basis Dienste aufgebaut werden können, die uns in unserem Wissenserwerb unterstützen – jenseits der heutigen Google-Monokultur.
Eine ausführliche Beschreibung der Idee findet sich in dem Beitrag „Why we need an independent index of the Web“, der im jetzt veröffentlichten Reader „Society of the Query – Reflections on Web Search“ (Institute of Network Cultures, Amsterdam 2014) erschienen ist. Das von René König und Miriam Rasch herausgegebene Buch lässt sich auch online lesen.